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Verbreitung von Open Science Praktiken im Berliner Forschungsraum

Der Begriff Open Science beschreibt keine konkrete Handlung oder Praxis, sondern ist vielmehr ein Sammelbegriff für verschiedene Open Science Praktiken. Im Berlin Science Survey wurden die fünf bekanntesten Open Science Praktiken näher beleuchtet: Open Access Publikationen, Data Sharing, Code und Material Sharing, Open Peer Review und Citizen Science.

Open Access bezeichnet den freien und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im Internet. Dadurch können diese Publikationen von anderen Wissenschaftler:innen und einer breiteren Öffentlichkeit gelesen werden, die keinen Zugang zu kostenpflichtig lizenzierten Verlagspublikationen haben.

Data Sharing bezeichnet in ähnlicher Weise die öffentliche und kostenlose Zurverfügungstellung von Daten. Code und Material Sharing meint analog das öffentliche und kostenlose Bereitstellen von Codes und studienrelevantem Material (Fragebögen, Bauplänen usw.) aus der eigenen Forschung. Data, Code und Material Sharing zählen nur dann zu Open Science, wenn beide Merkmale erfüllt sind. Wenn z.B. Daten nur nach Gutdünken und auf Anfrage von Kolleg:innen weitergegeben werden oder Fragebögen, Code und Material nur gegen Lizenzgebühren erhältlich sind, dann zählen diese Praktiken nicht zu Open Science.

Weniger bekannt ist Open Peer Review, womit verschiedene wissenschaftliche Begutachtungs-verfahren bezeichnet werden, bei denen der Begutachtungsprozess transparenter und nachvollziehbarer gestaltet wird, z.B. indem auf das double-blind Verfahren verzichtet wird oder in denen sogar die Reviews öffentlich gemacht werden, um von der Community gesehen und diskutiert werden zu können. Citizen Science bezeichnet die Einbeziehung nicht-wissenschaftlicher, zivilgesellschaftlicher Akteur:innen in den wissenschaftlichen Forschungsprozess. Dies kann zu verschiedenen Zwecken und in unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses geschehen.

Um den aktuellen Verbreitungsgrad von Open Science im Berliner Forschungsraum zu ermitteln, wurden die Wissenschaftler:innen danach gefragt, in welchem Maße sie diese verschiedenen Open Science Praktiken in ihrem Forschungsalltag realisieren.

 

Open Access Publizieren

Im Berlin Science Survey geben die Wissenschaftler:innen an, dass durchschnittlich gut 55 % all ihrer Publikationen frei und kostenlos im Internet verfügbar sind (siehe Abbildung 1). Dieses Ergebnis liegt unterhalb der 63,3 %, die vom Open Access Büro Berlin für den Berliner Forschungsraum für das Jahr 2020 berichtet wurden (Kindling et al. 2022). Jedoch bezieht sich letzterer Wert lediglich auf Zeitschriftenartikel, während sich die Selbsteinschätzung im BSS auf alle Publikationsformen, also auch Monographien und Sammelbandeinträge ohne Zeiteinschränkungen bezieht. Laut dieser Selbsteinschätzung geben 17 % der Befragten an, ausschließlich Open Access zu publizieren, während 9,6 % bisher nie Open Access publiziert haben (beides ohne Abbildung).

Die Unterteilung nach Statusgruppen zeigt, dass es keine Unterschiede zwischen Postdocs und Prädocs gibt (siehe Abbildung 1). Beide Statusgruppen haben gut 56 % ihrer Publikationen im Open Access Format publiziert. Lediglich die Open Access Anteile der Professor:innen fallen etwas dahinter zurück mit 52,2 %. Dieser Unterschied ist als Kohorteneffekt zu interpretieren: Die älteren Kohorten haben auch ältere Publikationen vorzuweisen, die generell seltener Open Access publiziert wurden. Es zeigen sich insgesamt keine substantiellen Unterschiede im Open Access Publikationsverhalten zwischen den Statusgruppen.  

 

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Abbildung 1 Anteil Open Access Publikationen, nach Statusgruppen

Deutliche Unterschiede bestehen hingegen zwischen den Fächergruppen. Abbildung 2 zeigt, dass Open Access in den Geisteswissenschaften am wenigsten weit verbreitet ist. Doch selbst dort werden 46 % der Publikationen frei zugänglich publiziert. Vorreiter beim Open Access Publizieren sind die Naturwissenschaften mit einem durchschnittlichen Anteil frei und kostenlos zugänglicher Veröffentlichungen von 64 %. Dies erstaunt nicht, da in den Naturwissenschaften mit Open Science Repositories wie arXiv bereits eine längere Tradition relevanter Infrastrukturen besteht. Zusätzlich dominiert in den Naturwissenschaften eine artikelbasierte Publikationskultur, die generell bereits besser an die Anforderungen des Open Access Publizierens angepasst ist (Grimme et al. 2019). Dagegen sind gerade in den Geisteswissenschaften nach wie vor Monographien und Sammelbände weit verbreitet (Schneijderberg et al. 2022), die jedoch seltener als Zeitschriftenartikel frei zugänglich gemacht werden (Grimme et al. 2019). Unterschiede beim Open Access Publizieren können damit zumindest teilweise auf fachspezifische Publikationskulturen zurückgeführt werden.

 

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Abbildung 2 Anteil Open Access Publikationen, nach Fächergruppen

Für die öffentliche und kostenlose Bereitstellung wissenschaftlicher Publikationen gibt es verschiedene Möglichkeiten bzw. Open Access Routen.

Zum Gold Open Access zählen hierbei alle elektronischen Erstveröffentlichungen in kostenlos und frei zugänglichen Journals (Open Access Journals). Unter Green Open Access versteht man alle elektronischen Zweitveröffentlichungen (als Pre- oder Postprints) in frei zugänglichen institutionellen oder fachlichen Online-Archiven bzw. Repositorien oder auch auf eigenen Webseiten. Beim Hybrid Open Access werden in ansonsten nicht frei zugänglichen Zeitschriften einzelne Artikel gegen eine Gebühr für die Leserschaft „freigekauft“.

DFG-Programme zur Förderung von Open Access Publikationen übernehmen die Gebühren ausdrücklich nur für Open Access Publikationen über den goldenen Weg und nicht für Zweitveröffentlichungen (DFG-Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informations-systeme 2022; Deutsche Forschungsgemeinschaft 2020). Dies bringt viele Wissenschaftler:innen in einen Zwiespalt, da viele wichtige (prestigeträchtige) Journals oft kein Gold Open Access Geschäftsmodell haben (Open Access Monitor 2023).

Im Berlin Science Survey wurden diejenigen (90,4 %), die zuvor angegeben haben überhaupt Open Access zu publizieren zusätzlich danach gefragt, auf welchem der drei gängigsten OA-Wege sie überwiegend publizieren. Hierbei zeigte sich, dass der goldene Weg des Publizierens mit 51 % überwiegt. Den grünen Weg der Vor- oder Zweitveröffentlichung beschreiten 39 % der Befragten und den hybriden Weg gehen ebenfalls gut ein Drittel der Befragten (ohne Abbildung).

Jedoch verbergen sich hinter diesen Durchschnittswerten teils deutliche Fächerunterschiede (siehe Abbildung 3). Während in den Ingenieurswissenschaften Green Open Access überwiegt, ist bei allen anderen Fächergruppen und ganz besonders deutlich bei den Lebenswissenschaften der goldene Weg dominierend. Letztere nutzen dagegen deutlich seltener Green Open Access (nur knapp 25 %). Das Format des Hybrid Open Access wird von den Geisteswissenschaften mit 21,5 % am seltensten genutzt. Die unterschiedliche Verbreitung der verschiedenen Open Access Formate kann fachkulturelle, finanzielle und publikationsstrategische Gründe haben. Da sowohl die Open Access Strategie des Bundes als auch das DFG-Programm zur Förderung von Open Access Publikationen zumeist nur die Kosten für Gold Open Access übernehmen, müssen Kosten für das hybride Format von den Wissenschaftler:innen selbst getragen werden. Jedoch variiert der Eigenanteil an Publikationskosten nach Fächergruppen stark (Over et al. 2005). So müssen sich vor allem Lebenswissenschaftler:innen an Publikationskosten beteiligen (ebd.).

 

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Abbildung 3 Nutzung verschiedener Open Access Formate, nach Fächergruppen

Insgesamt zeigt sich, dass Open Access Publizieren im Forschungsalltag der allermeisten Wissenschaftler:innen aller Statusgruppen bereits weit verbreitet ist. Neun von 10 Wissenschaftler:innen haben Open Access Publikationen; lediglich ein Zehntel bisher überhaupt keine und das sind ganz überwiegend Prädocs. Bisher haben 17 % aller Befragten ausschließlich Open Access publiziert. Zwischen den Fächergruppen bestehen hingegen noch Unterschiede im Anteil der öffentlich und kostenlos zugänglich gemachten Publikationen sowie dem Format ihrer Veröffentlichung. Während die Naturwissenschaften insgesamt Spitzenreiter beim Open Access Publizieren sind, sind die Lebenswissenschaften Vorreiter beim forschungspolitisch am stärksten geforderten und geförderten Weg des Gold Open Access.

Weitere Open Science Praktiken

Neben Open Access Publishing wurde im Berlin Science Survey auch die Verbreitung weiterer Open Science Praktiken (Data Sharing, Code und Material Sharing, Open Peer Review und Citizen Science) erhoben, die ebenfalls auf die Erhöhung von Transparenz und Zugänglichkeit abzielen. Es zeigt sich, dass diese vier Praktiken im Vergleich zu Open Access weniger weit verbreitet sind (siehe Abbildung 4). Dies kann einerseits daran liegen, dass sie in bestimmten Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft (noch) nicht angekommen sind. Dies kann aber andererseits auch daran liegen, dass sie in einigen Forschungskontexten nicht relevant sind. Wenn beispielsweise im Forschungsprozess keine Daten erhoben oder produziert werden, ist Data Sharing hier keine relevante Praktik. Diesen Unterschied haben wir bei der Erhebung berücksichtigt. Tatsächlich bestätigen 18,2 % der Befragten im BSS, dass für sie Data Sharing keinerlei Relevanz hat. Beim Code- und Material Sharing sind es 24,2 % der Befragten. Beim Open Peer Review geben dies 14,3 % an. Und bezüglich Citizen Science geben sogar 24,7 % an, dass diese Praktik auf ihre Forschungspraxis nicht zutrifft.

 

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Abbildung 4 Verbreitung verschiedener Open Science-Praktiken

Eine gewisse Routine in den Forschungspraktiken haben die jeweiligen Open Science Praktiken aus unserer Sicht dann, wenn sie regelmäßig, d.h. „oft“, „sehr oft“ oder „immer“ ausgeführt werden. In diesem Sinn ist Data Sharing für 26,8 % der Befragten bereits zur Routine geworden. Code und Material Sharing, gehört für 26,7 % der befragten Wissenschaftler:innen zum Forschungsalltag. Ungefähr ein Fünftel (21,2 %) der Befragten beteiligen sich regelmäßig an Open Peer Review Prozessen.  Weit hinter den anderen Praktiken liegt die Einbeziehung nicht-wissenschaftlicher Akteur:innen, die nur für 10,6 % der Befragten zum Forschungsalltag gehört (siehe Abbildung 4).

Dieser Einblick lässt sich weiter differenzieren, wenn die Unterschiede zwischen den Status- und Fächergruppen berücksichtigt werden. Die unterschiedliche Verbreitung der Open Science Praktiken zwischen den Statusgruppen (siehe Abbildung 5) verweist auf die verschiedenen Rollen und Aufgaben, die Professor:innen, Postdocs und Prädocs in der Wissenschaft ausüben. Die größten Differenzen zeigen sich beim Teilen von Forschungsdaten, v.a. aber bei der Involviertheit in Open Peer Review Prozesse. In beiden Fällen liegen die Professor:innen weit vor den Nachwuchswissenschaftler:innen. Gerade beim Open Peer Review ist der Unterschied zwischen Professor:innen und Prädocs von etwa 34 Prozentpunkten bzw. von fast 18 Prozentpunkten zwischen Professor:innen und Postdocs besonders auffällig (siehe Abbildung 5). Dies kann hingegen kaum überraschen, da die wissenschaftliche Qualitätskontrolle in Review Prozessen generell – also auch im Blind bzw. Closed Peer Review – eher von etablierteren Wissenschaftler:innen übernommen wird. 

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Abbildung 5 Verbreitung von Open Science-Praktiken, nach Statusgruppen

In ähnlicher Weise könnte die prominente Rolle, die die Professor:innen beim Teilen von Forschungsdaten spielen, unter anderem ein Resultat institutionalisierter und häufig gesetzlich regulierter Verantwortlichkeitsstrukturen für solche Daten und damit auch für deren Weitergabe sein. Etwas weniger ausgeprägt sind die Statusgruppenunterschiede beim Code und Material Sharing. Immerhin 26,4 % der befragten Prädocs teilen regelmäßig Code oder studienrelevantes Material. Dies kann als Anzeichen dafür gedeutet werden, dass diese Praxis einen niedrigschwelligeren Zugang auch für Nachwuchswissenschaftler:innen bietet. Ebenfalls deutlich ausgewogener sind die Anteile bei der regelmäßigen Ausübung von Citizen Science. Die Statusgruppe spielt hier kaum eine Rolle. Allerdings geben über ein Drittel der befragten Prädocs an, Citizen Science habe für ihre Forschung keine Relevanz, gegenüber rund 16 % bzw. 19 % bei den Professor:innen und Postdocs.


Schaut man sich die Umsetzung der Open Science Praktiken nach Fächergruppen an, so zeigt sich, dass die Lebens-, Natur- und Ingenieurswissenschaften mit einem Anteil regelmäßiger Umsetzung von jeweils ca. 30 % beim Data Sharing deutlich vor den Geistes- und Sozialwissenschaften liegen, die Anteile von 20 % bzw. 23 % aufweisen (siehe Abbildung 6). Hier deutet sich an, dass die in unterschiedlichen Forschungskontexten verarbeiteten Datentypen mit unterschiedlichen Schwierigkeiten bei der Aufbereitung und Bereitstellung verbunden sind. Insbesondere die Sensibilität der erhobenen Daten und die damit einhergehenden datenschutzrechtlichen Auflagen unterscheiden sich zwischen den einzelnen Forschungskontexten teilweise stark.


Im Vergleich zu Data Sharing kehrt sich das Bild bei Citizen Science um: Während nur etwa 6 bis 8 % der Befragten aus den Lebens-, Ingenieurs-, und Naturwissenschaften angaben, ‚oft‘, ‚sehr oft‘ oder ‚immer‘ in ihrer Forschung mit nicht-wissenschaftlichen Akteur:innen zusammenzuarbeiten, gaben dies über 23 % der Sozial- und 11,5 % der Geisteswissenschaftler:innen an (siehe Abbildung 6).

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Abbildung 6 Verbreitung von Open Science-Praktiken, nach Fächergruppen

Das Teilen forschungsrelevanter Materialien und Codes ist in den Ingenieurswissenschaften am weitesten verbreitet. Für 41,3 % der Befragten aus dieser Fächergruppe ist diese Praxis zur Routine geworden. In den anderen Fächergruppen ist der Verbreitungsgrad deutlich geringer. Während die Sozial-, Lebens- und Naturwissenschaften mit 25,6 bis 31,3 % hier relativ eng beisammen liegen, teilen nur 12,3 % der Geisteswissenschaftler:innen regelmäßig Code oder Material (siehe Abbildung 6). Dieser vergleichsweise niedrige Wert erklärt sich vor allem dadurch, dass mehr als die Hälfte der Geisteswissenschaftler:innen angeben, diese Praktik sei in ihrem Forschungskontext nicht relevant (ohne Abbildung). Rechnet man diejenigen raus, in deren Forschungspraxis Code und Material Sharing nicht relevant ist, ergeben sich zwar geringere, aber immer noch merkliche Fächerunterschiede (Abbildung 7).


Open Peer Review wird bisher insbesondere in den Lebens- und Ingenieurswissenschaften (26,5 % bzw. 23,6 %) praktiziert. Zwischen den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften bestehen für diese Praktik kaum Unterschiede – in diesen drei Fachbereichen beteiligen sich zwischen 17 und 18 % der Forschenden regelmäßig an alternativen Peer Review Verfahren.

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Abbildung 7 Verbreitung von Open Science-Praktiken, nach Fächergruppen, nur mit relevantem Forschungskontext

Insgesamt zeigen sich bei der Umsetzung der hier betrachteten Open Science Praktiken deutliche Fächerunterschiede. Diese deuten darauf hin, dass einige Forschungskontexte für eine bestimmte Open Science Praktik geeigneter sind als andere. Das hat auch eine Relevanz für die wissenschaftspolitische Steuerung, die nicht alle Forschungsfelder auf dieselbe Weise behandeln und alle Forschenden am selben Maßstab messen kann. Vielmehr bedarf es einer differenzierten Betrachtung der Umsetzung einzelner Open Science Praktiken, die der Vielfalt unterschiedlicher Forschungsrealitäten gerecht wird.