Zusammenhang zwischen Arbeitskulturen und Arbeitsklima
Die Frage ist nun, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den Arbeitskulturen, bzw. der Art der Zusammenarbeit, und dem Arbeitsklima, also der wahrgenommenen Produktivität, Inspiration und Überforderung. Dafür wird auf die explorierten vier Typen von Arbeitskulturen zurückgegriffen, die die latenten Dimensionen Kooperation und Wettbewerb abbilden (vgl. Abbildung 26).
Abbildung 31 zeigt, dass die zwei Arbeitskulturen mit hoher Kooperation sehr ähnliche Muster beim Arbeitsklima aufweisen. In der Kultur „hohe Kooperation und schwacher Wettbewerb“, die 50 % aller Befragten repräsentiert, gibt es sehr hohe Werte für wahrgenommene Produktivität und Inspiration, bei gleichzeitig niedrigen Werten für wahrgenommene Überforderung. Das gleiche Muster weist auch die Arbeitskultur „hohe Kooperation bei starkem Wettbewerb“ auf, in der sich 22 % der Befragten befinden.
Völlig im Kontrast dazu stehen die zwei anderen Arbeitskulturen mit niedriger Kooperation, die zusammen genommen 28 % der Befragten repräsentieren. In beiden Gruppen wird das Arbeitsklima als deutlich weniger produktiv und inspirierend wahrgenommen, bei gleichzeitig stärker wahrgenommener Überforderung (siehe Abbildung 31).
Die Ergebnisse zeigen, dass die untersuchten Eigenschaften des Arbeitsklimas maßgeblich vom Kooperationslevel abhängen. Doch auch das Wettbewerbselement hat eine Auswirkung, wenn auch deutlich geringer: Ein leistungsbezogener Wettbewerb in der Zusammenarbeit kann die wahrgenommene Produktivität leicht erhöhen, erhöht aber zugleich die Werte der Überforderung. Dies gilt sowohl für den Vergleich der Arbeitskulturen bei gleichzeitig hohem Kooperationsniveau, als auch für die Arbeitskulturen auf niedrigem Kooperationsniveau (siehe Abbildung 31). Es gibt also einen eigenständigen Effekt von Wettbewerbselementen in den Arbeitskulturen, auch wenn dieser gegenüber dem überragenden Haupteffekt von „Kooperation“ relativ klein ist.
Wünschenswerterweise sind Forschungs- und Arbeitskulturen so gestaltet, dass sie positive Outcomes, wie Forschungsqualität und Innovativität befördern und die Wahrscheinlichkeit negativer Outcomes möglichst minimieren. Als eine sehr extreme negative Auswirkung schlechter Arbeitskultur sind Vorfälle von Diskriminierung und Machtmissbrauch aufzufassen. Im Berlin Science Survey wurde daher auch nach Erfahrungen mit Diskriminierung und Machtmissbrauch gefragt. Dabei wurde Machtmissbrauch im Fragebogen folgendermaßen definiert: „Machtmissbrauch bedeutet, dass eine Person durch das Ausnutzen ihrer Machtposition anderen schadet und sich selbst oder Günstlingen einen Vorteil verschafft.“ Diskriminierung wurde im Fragebogen wie folgt definiert: „Diskriminierung bedeutet, dass eine Person oder Gruppe aufgrund eines oder mehrerer Merkmale abgewertet oder gegenüber anderen benachteiligt wird.“ Die Zahlen zu den beiden Themen liegen sehr nah beieinander, was darauf schließen lässt, dass die begrifflichen Unterschiede der beiden Konzepte von den Befragten nicht so deutlich wahrgenommen wurden. Andererseits kann es aber auch ein Hinweis darauf sein, dass beide Konzepte empirisch eng miteinander verbunden sind. So scheint es plausibel, dass Diskriminierung dort häufiger auftritt, wo einzelne ihre Macht missbrauchen und sich über andere erheben.
Die Ergebnisse des BSS zeigen, dass Diskriminierung ein verbreitetes Phänomen ist und sich nicht nur auf Einzelfälle beschränkt (siehe Abbildung 32). Diskriminierung ist somit offensichtlich kein zu vernachlässigendes Phänomen. Fast jede:r vierte Wissenschaftler:in hat selbst Diskriminierung erfahren. So geben 23 % der Wissenschaftler:innen an, schon mindestens einmal im aktuellen Arbeitsumfeld innerhalb der letzten 24 Monate selbst Diskriminierung erlebt zu haben. Darunter 9,3 % mehrmals und 3,2 % sogar regelmäßig. Deutlich mehr (knapp 40 %) geben an, Diskriminierung mindestens einmal beobachtet zu haben – darunter 18,6 % mehrmals und 5 % regelmäßig (siehe Abbildung 32).
4 % haben Machtmissbrauch regelmäßig selbst erlebt, knapp 7 % haben es regelmäßig beobachtet (siehe Abbildung 33). 18 % haben Machtmissbrauch mehrmals beobachtet und 9,6 % mehrmals erlebt. Einmalig erlebt haben es immerhin noch 10 % und einmalig beobachtet 14 % (siehe Abbildung 33).
Damit zeigt sich, dass zwar für den Großteil der Wissenschaftler:innen die Arbeitskontexte diskriminierungs- und machtmissbrauchsfrei sind, dass es jedoch auch eine skalierbare Zahl solcher Vorkommnisse gibt, die auf strukturelle Probleme in einigen Arbeitskontexten hindeuten.
In den Abbildungen 34 und 35 ist dargestellt, welche Gruppen besonders von Diskriminierungserfahrungen und Machtmissbrauch betroffen sind. Dafür beziehen wir uns auf eine im Berlin Science Survey erhobene Itembatterie von Diversitätsmerkmalen, die verschiedene Untergruppen identifizierbar machen. Die erhobenen Merkmale basieren auf dem Minimal Item Set (Stadler et al. 2023) und wurden für den Berlin Science Survey in eine Kurzskala für den Wissenschaftsbereich überführt (Ambrasat et al. 2024).
Nicht überraschend, aber hier erstmals durch Zahlen belegbar ist, dass diverse Wissenschaftler:innen, sowie jene, die ethnischen oder religiösen Minderheiten angehören, häufiger Diskriminierung erfahren (jeweils ca. 40 %) als der Durchschnitt (siehe Abbildung 34). Auch Frauen (34 %), Personen mit langanhaltenden psychischen oder körperlichen Erkrankungen (38 bzw. 34 %) und solche, die sich zur LGBTIQ+ zählen (34 %), berichten häufiger von Diskriminierung als der Gesamtdurchschnitt (siehe Abbildung 34).
Auch das Risiko Machtmissbrauch zu erleben ist für bestimmte Personengruppen höher (siehe Abbildung 35). So ist es für diverse Personen (48 %), sowie Personen mit einer langanhaltenden physischen (35 %) oder psychischen (40 %) Erkrankung besonders groß (siehe Abbildung 35). Auch Frauen (29 %), Personen die ethnischen (29 %) oder religiösen Minderheiten (32 %) angehören, sowie solche, die sich zur LGBTIQ+ zählen (30 %), berichten häufiger von Machtmissbrauch als der Gesamtdurchschnitt (siehe Abbildung 35).
Die Daten des BSS sind die ersten Querschnittsdaten für den Berliner Forschungsraum, die zeigen, dass sich Diskriminierung und Machtmissbrauch in der Wissenschaft nicht auf Einzelfälle beschränkt. Erhebung und Bereitstellung solcher Querschnittszahlen können selbst ein wichtiger Schritt sein, die Sensibilität für das Thema zu erhöhen, und bei allen Beteiligten eine größere Aufmerksamkeit für Diskriminierungen und Machtmissbrauch im Alltag zu wecken.
Abbildung 36 zeigt sehr gut, dass auch die Forschungs- und Arbeitskulturen in einem engen Zusammenhang stehen zu dem Vorkommen von Diskriminierung und Machtmissbrauch. So sind es vorrangig die Forschungskulturen, in denen Kooperation sehr gering und gleichzeitig Wettbewerb sehr stark ausgeprägt ist, in denen sich deutlich häufiger toxische Verhaltensweisen ausbilden. So hat hier knapp die Hälfte der Befragten schon Diskriminierung und Machtmissbrauch erlebt. Daneben haben ca. 65 % diese toxischen Verhaltensweisen schon beobachtet (siehe Abbildung 36). Ganz anders sieht es in Forschungskulturen aus, die von hoher Kooperation, einer positiven Kommunikations- und Fehlerkultur geprägt sind, bei nicht gleichzeitig induziertem Leistungswettbewerb. Hier ist der Anteil derjenigen, die Diskriminierung bzw. Machtmissbrauch beobachtet (32% bzw. 33%) und derjenigen, die derartige Verhaltensweisen selbst erlebt haben (nur ca. 15 %) deutlich geringer. Die Zahlen steigen leicht, wenn in Forschungskulturen mit hoher Kooperation gleichzeitig ein leistungsbezogener Wettbewerb implementiert ist (siehe Abbildung 36).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Forschungskulturen geprägt sind von einem hohen Maß an Wettbewerb im Forschungsfeld, aber einem hohen Maß an Kooperation und konstruktiver Zusammenarbeit in den Arbeitsgruppen. Bei der Beurteilung des Wettbewerbs gibt es wiederum kaum Unterschiede zwischen den Fächern. Insgesamt wird der Wettbewerb im Feld deutlich stärker wahrgenommen, als der Wettbewerb innerhalb der Organisation und erst recht als der Wettbewerb in der eigenen Arbeitsgruppe. Im jeweils engeren Umfeld wird Wettbewerb von Befragten aus den Lebenswissenschaften als etwas stärker wahrgenommen.
Die Arbeitskulturen im direkten Arbeitsumfeld und in den Arbeitsgruppen sind bei der großen Mehrheit von gegenseitiger Unterstützung, einer wertschätzenden Kommunikations- und positiven Fehlerkultur gekennzeichnet. Förderung wird eher nach Bedarf, als nach Leistung gewährt. Insgesamt sind dies Merkmale, die ein kooperatives Arbeitsumfeld charakterisieren, welches für 72 % der Befragten überwiegt. Wettbewerb spielt in weniger Arbeitskulturen (32 %) eine dominante Rolle. Bei den Geisteswissenschaften gibt es etwas weniger gegenseitige Unterstützung, als in den Team Science, wo man ohnehin stärker auf Zusammenarbeit und Arbeitsteilung angewiesen ist. In den Ingenieurswissenschaften dagegen ist Überforderung häufiger ein Thema.
Die Arbeitskulturen stehen auch in einem engen Verhältnis zum Arbeitsklima, sowie zu Risiken von Diskriminierung und Machtmissbrauch. So wird in Arbeitsumfeldern mit kooperativer Forschungskultur das Arbeitsklima insgesamt als produktiver, inspirierender und seltener als überfordernd wahrgenommen. Gleichzeitig ist in diesen Forschungskulturen auch das Risiko von Diskriminierung und Machtmissbrauch deutlich geringer. Insofern ist es gut zu sehen, dass diese Forschungskulturen auch anteilsmäßig mit 72 % deutlich dominieren und die eher riskanten Arbeitsumfelder deutlich in der Minderheit sind. Zusammenfassend lässt sich sagen: Kooperation fördert positive Eigenschaften der Arbeitsgruppe und hemmt Überforderung. Leistungsbezogener Wettbewerb im engeren Arbeitsumfeld bietet eine Chance, die Produktivität etwas zu erhöhen, erhöht aber auch die Risiken, z.B. für Machtmissbrauch und fördert Gefühle von Überforderung, insbesondere in kooperationsarmen Kontexten.