Humboldt-Universität zu Berlin - Deutsch

Qualitätssichernde Praktiken

Neben der Beobachtung qualitätsmindernder Praktiken wurde umgekehrt auch erhoben, inwiefern qualitätssichernde Praktiken in der jeweiligen Forschungskultur routinemäßig vollzogen werden. Hierbei wird zwischen Maßnahmen unterschieden, die prinzipiell in allen Forschungsfeldern integriert sein könnten, und solchen, die fachspezifischer sind. Maßnahmen können in allen Forschungsfeldern vorkommen, wenn sie unabhängig von den konkreten im Feld untersuchten Gegenständen, den verwendeten Methoden und Fragestellungen sind. Dazu zählen die folgenden Maßnahmen:

  • Ausführliche Dokumentation von Forschungsschritten,
  • Diskussion von Forschungsergebnissen mit (Fach-) Kolleg:innen,
  • Interne Qualitätssicherung (4-Augen-Prinzip) vor der Einreichung von Drittmittelanträgen,
  • Interne Qualitätssicherung (4-Augen-Prinzip) vor der Einreichung von Manuskripten zur Veröffentlichung und
  • Veröffentlichungen bei Verlagen mit Peer Review Verfahren.

Auf der anderen Seite gibt es Maßnahmen, die derzeit in einigen Disziplinen sehr vorangetrieben werden, aber auch in der übergreifenden Diskussion um Forschungsqualität sehr viel Raum einnehmen, von denen aber fraglich ist, ob sie sinnvoll auf andere Felder übertragen werden können. Hierzu zählen:

  • die Durchführung von Replikationsstudien,
  • die Veröffentlichung von Null-Results oder auch
  • die Pre-Registrierung von Forschungsdesigns

Während Replikationsstudien bei labor-experimentellen Forschungen sinnvoll sind und typischerweise auch durchgeführt werden, lässt sich die Maßnahme schon auf sogenannte natürliche Experimente nicht eins zu eins übertragen. Null-Results wiederum ergeben sich überhaupt nur bei hypothesentestender Forschung. Die Idee der Pre-Registrierung von Forschungsdesigns stützt sich oft auf stereotype Vorstellungen, wie Forschung abzulaufen hat, so dass genau geprüft werden müsste, wie und ob eine Pre-Registrierung überhaupt sinnvoll innerhalb des jeweiligen Fachs ist.

Abbildung 59 zeigt, dass die fachübergreifenden bzw. methodenunabhängigen Qualitätssicherungsmaßnahmen durchaus weit verbreitet sind. So geben 89 % der Befragten an, Forschungsergebnisse mit Fachkolleg:innen zu diskutieren. 87,2 % geben an, bei Verlagen mit Peer-Review zu publizieren. Ebenfalls recht weit verbreitet ist die interne Qualitätssicherung (Vier-Augen Prinzip) vor der Einreichung von Manuskripten oder Drittmittelanträgen. Im Fall von Manuskripten praktizieren das 72,3 % der Forschenden, bei Drittmittelanträgen noch immerhin 55,6 %.

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Abbildung 59 Fachübergreifende Maßnahmen zur Qualitätssicherung

Im Fächervergleich zeigen sich einige Unterschiede (siehe Abbildung 60). In den Naturwissenschaften wird etwas seltener eine interne Qualitätssicherung vor der Einreichung von Drittmittelanträgen vorgenommen (siehe Abbildung 60). Die Geisteswissenschaften fallen bei der ausführlichen Dokumentation von Forschungsschritten etwas gegenüber den anderen Fächergruppen zurück. Vorreiter sind hier die Lebenswissenschaften. Auch die interne Qualitätssicherung (4-Augenprinzip) vor der Einreichung von Manuskripten wird in den Geisteswissenschaften etwas seltener praktiziert als in anderen Fächergruppen. Zum Teil verständlich, da hier häufiger auch allein und nicht im Team gearbeitet wird. Andererseits schließt dieser Umstand die Möglichkeit des „Gegenlesens“ durch Kolleg:innen auch nicht per se aus. Hinzu kommt, dass die Geisteswissenschaften auch bei der „Veröffentlichung bei Verlagen mit Peer Review“ nicht ganz so weit sind wie die anderen Fächer(-gruppen). Die Unterschiede in den Publikationskulturen sind bekannt. So publizieren Wissenschaftler:innen aus den Geistes- und zum Teil auch den Sozialwissenschaften häufiger in Form von Monografien und Sammelbänden (Kulczycki et al. 2018). Diese Fächergruppen scheinen dabei zunehmend unter Druck zu stehen, ihre Publikationskulturen in Richtung von Artikeln mit Peer Review auszurichten (Schneijderberg et al 2022).

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Abbildung 60 Fachübergreifende Maßnahmen zur Qualitätssicherung, nach Fächern

Bei den fachspezifischen, d.h. methodenabhängigen, Maßnahmen zeigt sich, entsprechend der Erwartungen, eine deutlich geringere Verbreitung (siehe Abbildung 61). Replikationsstudien werden demnach nur von 13,1 % der Befragten durchgeführt; Null-Results veröffentlichen 14,1 % der Befragten. Im Fächervergleich zeigt sich sehr deutlich, dass die fachspezifischen Maßnahmen am häufigsten in den Lebens- und Sozialwissenschaften Anwendung finden (siehe Abbildung 62). Dies hat zweierlei Gründe: Einerseits wird in den Lebenswissenschaften und Teilen der Sozialwissenschaften, häufiger experimentell und hypothesentestend gearbeitet. Gleichzeitig werden in einigen dieser Fächer z.B. in der Medizin, Psychologie und Ökonomie solche Maßnahmen durch Reformbewegungen derzeit gerade sehr vorangetrieben.

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Abbildung 61 Fachspezifische Maßnahmen zur Qualitätssicherung

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Abbildung 62 Fachspezifische Maßnahmen zur Qualitätssicherung, nach Fächern

Forschungsqualität ist eines der ganz großen Themen im Wissenschaftsmanagement und in wissenschaftspolitischen Debatten. Im BSS wurde versucht, sich dem Thema nicht über Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu nähern, sondern über die Forschungskulturen, die implementierten Praktiken und die Forschungsorientierungen der Wissenschaftler:innen. Dabei zeigt sich, dass Forschungsqualität einen sehr hohen Stellenwert hat. Die forschungsimmanenten Ziele „methodische Strenge“ sowie „Originalität der Forschungsergebnisse“ werden von den Befragten als deutlich wichtigere Ziele angesehen, als zum Beispiel „Drittmitteleinwerbung“ und „Publikationsoutput“ und entsprechend in der Praxis am stärksten priorisiert. Und dies, obwohl andere Ziele mit einem stärkeren Erwartungsdruck an die Wissenschaftler:innen herangetragen werden.

Mit Blick auf die Forschungspraktiken zeigt sich, dass in den allermeisten Forschungskontexten Qualitätssicherungsmaßnahmen implementiert sind, bzw. routinemäßig vollzogenen werden. Jedoch gibt es auch eine Minderheit, bei der die einen oder anderen Qualitätssicherungsmaßnahmen noch regelmäßiger zum Einsatz kommen könnten. Qualitätsrisiken entstehen nicht zuletzt durch zu hohe Arbeitsbelastungen. So geben von allen Befragten 28,5 % an, dass sie aufgrund der hohen Arbeitsbelastung „oft“, „sehr oft“ oder sogar „immer“ Qualitätsabstriche bei der Arbeit machen müssen. Diese gehen wiederum in 80 % der Fälle zu Lasten der Forschung.