Konkrete Belastungsfaktoren
Neben den wöchentlichen Arbeitsstunden als ein möglicher Belastungsfaktor, wurde im Fragebogen auch nach konkreten Stressoren gefragt. Die in Abbildung 48 dargestellten Angaben zu konkreten Belastungen sind hoch und geben somit Anlass zur Sorge. Knapp zwei Drittel der Befragten geben an, regelmäßig, d.h. „oft“ (28,3 %), „sehr oft“ (25,4 %) oder sogar „immer“ (10,7 %) unter zeitlichem Druck zu arbeiten. Fast genauso viele (57,1 %) sehen sich regelmäßig mit der Arbeit im Rückstand. Gut die Hälfte ist aufgrund schlechter Rahmenbedingungen regelmäßig bei der Arbeit frustriert. Gut 50 % geben an, dass sie sich „oft“ (23,1 %), „sehr oft“ (20,9 %) oder sogar „immer“ (7,8 %) von der Arbeit körperlich oder emotional erschöpft fühlen. Diese Zahlen weisen klar auf ein Burnout-Risiko hin. Das scheint jedoch nicht allen Befragten auch unmittelbar bewusst zu sein, denn eine gesundheitliche Gefährdung durch ihre Arbeitssituation sehen nur 26,9 %, was dennoch ein alarmierend hoher Wert ist.
39,6 % geben außerdem an, „oft“, „sehr oft“ oder „immer“ Abstriche im Privatleben aufgrund der Arbeit machen zu müssen. Interdependenzen in der Zusammenarbeit sind für rund ein Viertel belastend: 28,5 % der Befragten können regelmäßig die eigene Arbeit nicht erledigen, aufgrund fehlender Zuarbeiten anderer. Ebenso viele (28,5 %) geben an, regelmäßig Qualitätsabstriche bei der eigenen Arbeit machen zu müssen (siehe Abbildung 48). Die Frage nach den Qualitätsabstrichen ist insbesondere für das Thema Forschungsqualität relevant und wird daher in Kapitel 6 nochmals aufgegriffen.
Schaut man sich die Ergebnisse getrennt nach Statusgruppen an, so fällt auf, dass die Professor:innen bei zwei Aspekten besonders stark belastet sind (siehe Abbildung 49): 80,1 % geben an, „oft“, „sehr oft“ oder „immer“ unter zeitlichem Druck zu arbeiten und 68,8 % sind „oft“, „sehr oft“ oder „immer“ mit der Arbeit im Rückstand. Auch die anderen Belastungsaspekte treten bei den Professor:innen häufiger auf, als bei Postdocs und Prädocs. Interessanterweise dreht sich das Bild jedoch bei der Frage nach der Erschöpfung durch die Arbeit. Hier geben mit 56% die Prädocs am häufigsten Erschöpfung an; die Professor:innen am seltensten mit 43,2 % (siehe Abbildung 49). Dieser Umstand lässt sich eventuell durch die fehlende Sicherheit der Prädocs bei der Karriereentwicklung erklären. So wissen die Professor:innen am ehesten, wofür sie die Belastungen in Kauf nehmen, während die Prädocs nicht sicher sein können, ob sich die Belastungen irgendwann auszahlen.
Im Geschlechtervergleich zeigen sich durchgängig höhere Belastungswerte bei den Frauen verglichen mit den männlichen Kollegen (siehe Abbildung 50). Lediglich bei der Frage nach dem Rückstand mit der Arbeit zeigen sich keine Unterschiede; hier geben jeweils 57 % der Männer und der Frauen an, dass dies regelmäßig zutrifft. Die diversen Personen geben die höchsten Belastungswerte an. Insbesondere die Belastungen, die die eigene Gesundheit betreffen, sind hier besonders hoch, während die Belastungsfaktoren, die die Qualität der Arbeit betreffen, nicht stark von den übrigen Geschlechtergruppen abweichen.
Im Fächergruppenvergleich zeigen sich nur geringe Unterschiede (siehe Abbildung 51): so sind die Lebenswissenschaftler:innen in vielen Bereichen besonders häufig belastet: sie stehen etwas häufiger unter zeitlichem Druck (69,1 %), sind mit ihrer Arbeit häufiger im Rückstand (60,6%) und fühlen sich auch häufiger durch die Arbeit erschöpft (53,1 %) als Wissenschaftler:innen anderer Fächergruppen. Dagegen sehen sich die Geisteswissenschaftler:innen besonders häufig gesundheitlich gefährdet (32,4 %) und nehmen ihr Privatleben als durch die Arbeit beeinträchtigt wahr (45,7 %). Qualitätsabstriche müssen die Sozialwissenschaftler:innen (34,5 %) am häufigsten machen und die Ingenieurswissenschaftler:innen sind am häufigsten frustriert aufgrund der Rahmenbedingungen (54,8 %).
Interessante Unterschiede in den Belastungen zeigen sich auch für die verschiedenen Arbeitskulturen (siehe Abbildung 52). Es ist ganz deutlich, dass kooperative Arbeitskulturen sich positiv auswirken und Stressoren etwas mildern und gesundheitliche Konsequenzen teils deutlich minimieren: So geben nur 21,4 % derjenigen in Arbeitskulturen mit hoher Kooperation und schwachem Wettbewerb an, dass sie ihre Arbeit aufgrund fehlender Zuarbeiten anderer nicht erledigen können. In Arbeitskulturen mit hoher Kooperation und starkem Wettbewerb sind es 26,5%. In Arbeitskulturen mit niedriger Kooperation sind die Werte mit 41,1 % (schwacher Wettbewerb) bzw. 45,9 % (starker Wettbewerb) deutlich höher. Auch die Häufigkeit, Qualitätsabstriche machen zu müssen, ist in den kooperativen Umfeldern deutlich niedriger mit 23,3 % (schwacher Wettbewerb) bzw. 28,4 % (starker Wettbewerb). Zum Vergleich: bei den unkooperativen Arbeitskulturen sind es 36,1 % (schwacher Wettbewerb) bzw. 42,4 % (starker Wettbewerb) der Befragten, die regelmäßig Qualitätsabstriche machen müssen. Auch berichten Befragte aus Umfeldern mit niedriger Kooperation weit häufiger Beeinträchtigungen des Privatlebens: 54,1 % der Personen aus Arbeitskulturen mit niedriger Kooperation und schwachem Wettbewerb geben dies an, und sogar 60,2 % aus Arbeitskulturen mit niedriger Kooperation und starkem Wettbewerb. Im Vergleich dazu sind die Werte bei Arbeitskulturen mit hoher Kooperation und niedrigem Wettbewerb mit 30,9 % vergleichsweise niedrig. Auch die Werte für Arbeitskulturen mit hoher Kooperation und starkem Wettbewerb liegen zwar mit 38,5 % über jenen, aber ebenfalls deutlich unter denen der Arbeitskontexte mit niedriger Kooperation. Ebenso geben über 20 % mehr Befragte aus Umfeldern mit niedriger Kooperation an, dass sie Ihre Gesundheit durch die Arbeit als gefährdet ansehen und dass sie sich emotional oder körperlich erschöpft durch die Arbeit fühlen.
Zeitlicher Druck und das Gefühl mit der Arbeit im Rückstand zu sein, wird wiederum hauptsächlich in Arbeitskontexten mit Wettbewerbselementen forciert bzw. umgekehrt: Arbeitskulturen mit schwachem Wettbewerb wirken sich hier stressmildernd aus. So geben in Kontexten mit geringem Wettbewerb 59,6 % (bei gleichzeitig hoher Kooperation) bzw. 61,7 % (bei gleichzeitig niedriger Kooperation) an, dass sie unter zeitlichem Druck arbeiten müssen. Dies ist ein sehr hoher Wert und sollte Anlass zur Sorge geben. Jedoch ist er im Vergleich zu den Arbeitskulturen mit starkem Wettbewerb noch gering, da dort 70,8 % (bei gleichzeitig hoher Kooperation) bzw. sogar 77,8 % (bei gleichzeitig niedriger Kooperation) unter zeitlichem Druck arbeiten müssen.
Insgesamt betrachtet, fördert ein kooperatives und von Wettbewerb entlastetes Arbeitsumfeld also die Qualität der Forschung und die Gesundheit der Wissenschaftler:innen.