Wie wirken sich Arbeitskulturen auf die Forschung aus?
Der Berlin Science Survey zeigt, dass sich ein kooperatives Arbeitsumfeld positiv auf Produktivität und Innovativität auswirkt. Immerhin arbeiten 72 % der befragten Wissenschaftler:innen im Berliner Forschungsraum in solch kooperativen Arbeitskulturen. Leider gibt es auch Hinweise darauf, dass 28 % der Befragten in eher problematischen Kontexten arbeiten, wo die Gefahr besteht, dass die Forschung leidet.
Wünschenswerterweise sind Arbeitskulturen derart gestaltet, dass sie positive Effekte auf den Forschungsprozess haben, Innovationen befördern und die Risiken negativer Auswirkungen auf Forschungsergebnisse und Forschungsqualität möglichst minimieren. Im Berlin Science Survey wurden Arbeitskulturen erhoben, um ihren Zusammenhang mit anderen Eigenschaften der Forschung zu untersuchen. Verstanden wird Arbeitskultur als die Art der Zusammenarbeit im unmittelbaren Arbeitsumfeld der Wissenschaftler:innen. Um diese zu erfassen und zu unterscheiden, wurden mehrere Merkmale der Zusammenarbeit in einer Itembatterie erhoben, darunter Verteilungsprinzipien beim Umgang mit Ressourcen, wettbewerbliche Leistungsanreize und die Kommunikationskultur (siehe Abbildung 1).
Die Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitskulturen im Berliner Forschungsraum ganz überwiegend geprägt sind von gegenseitiger Unterstützung, einer wertschätzenden Kommunikationskultur und einer positiven Fehlerkultur (siehe Abbildung 1). So geben 40,2 % für ihr Umfeld an, dass sich überwiegend „alle gegenseitig unterstützen“ und 29,1 % geben sogar an, dass dies „voll und ganz“ zutrifft. Knapp zwei Drittel der Befragten geben an, dass in ihrem Arbeitsumfeld die Ressourcen nach Bedarf verteilt werden (43,7 % „überwiegend“ plus 19,6 % „voll und ganz“). 37,4 % der Wissenschaftler:innen geben an, dass „überwiegend“ eine wertschätzende Kommunikationskultur besteht und weitere 30,2 % geben sogar an, dass diese „voll und ganz“ besteht. Bezüglich der positiven Fehlerkultur geben 40,1 % an, dass dieses Merkmal auf ihr Arbeitsumfeld „überwiegend“ zutrifft und 20,4 % geben an, dass es „voll und ganz“ zutrifft.
Abbildung 1 Arbeitskultur
Demgegenüber sind wettbewerbliche Leistungsanreize in deutlich weniger Kontexten dominierend. Knapp 20 % geben an, dass in ihrer Arbeitsgruppe („überwiegend“ oder „voll und ganz“) ein leistungsbezogener Wettbewerb herrscht. 32 % der Befragten sehen sich in einem Arbeitsumfeld, in dem diejenigen mehr gefördert werden, die mehr leisten. Diese Form der Verteilung von Förderung nach Leistung steht einer bedarfsgerechten Verteilung von Ressourcen partiell entgegen.
Basierend auf den Angaben zur Zusammenarbeit im direkten Arbeitsumfeld (s. Abbildung 1) lassen sich vier unterschiedliche Typen von Arbeitskulturen explorieren. Diese sind durch zwei tieferliegende Dimensionen charakterisiert: Kooperation und Wettbewerb.
Abbildung 2 Vier Arbeitskultur-Typen entlang der explorierten Dimensionen Kooperation und Wettbewerb, Häufigkeitsverteilung
Die vier Arbeitskulturtypen ergeben sich entsprechend in Abhängigkeit vom Level an Kooperation und Wettbewerb (siehe Abbildung 2). 50 % der Befragten befinden sich in Arbeitsumfeldern, in denen überwiegend kooperative Zusammenarbeit herrscht und gleichzeitig nicht oder höchsten teilweise leistungsbezogener Wettbewerb implementiert ist (türkisfarbenes Feld). 22 % der Befragten sehen sich ebenfalls in kooperativen Arbeitsumfeldern, jedoch mit leistungsbezogenem Wettbewerb (gelbes Feld). Insgesamt 28 % der Befragten finden sich in Arbeitsumfeldern mit wenig, also höchstens teilweiser Kooperation, und zwar 18 % ohne wettbewerbliche Elemente (blaues Feld) und 10 % bei gleichzeitigem Wettbewerb (rotes Feld).
Insgesamt knapp drei Viertel der Befragten befinden sich in kooperativen Kontexten mit überwiegend positiver Kommunikations- und Fehlerkultur, in denen sich alle gegenseitig unterstützen und Ressourcen nach Bedarf geteilt werden. Das ist ein erfreulich hoher Wert. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass die restlichen 28 % der Befragten in möglicherweise problematischen Kontexten arbeiten (siehe Abbildung 2).
Die Frage ist nun, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den Arbeitskulturen und dem Arbeitsklima, welches wir über die wahrgenommene Produktivität, Inspiration und Überforderung operationalisiert haben.
Abbildung 3 zeigt, dass die zwei Arbeitskulturen mit hoher Kooperation sehr ähnliche Muster beim Arbeitsklima aufweisen. In der Kultur „hohe Kooperation und schwacher Wettbewerb“, die 50 % aller Befragten repräsentiert, gibt es sehr hohe Werte für wahrgenommene Produktivität und Inspiration, bei gleichzeitig niedrigen Werten für wahrgenommene Überforderung. Das gleiche Muster weist auch die Arbeitskultur „hohe Kooperation bei starkem Wettbewerb“ auf, in der sich 22 % der Befragten befinden.
Völlig im Kontrast dazu stehen die zwei anderen Arbeitskulturen mit niedriger Kooperation, die zusammen genommen 28 % der Befragten repräsentieren. In beiden Gruppen wird das Arbeitsklima als deutlich weniger produktiv und inspirierend wahrgenommen, bei gleichzeitig stärkerer Überforderung (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3 Arbeitsklima, nach Arbeitskulturtypen
Die Ergebnisse zeigen, dass die untersuchten Eigenschaften des Arbeitsklimas maßgeblich vom Kooperationslevel abhängen. Doch auch das Wettbewerbselement hat eine Auswirkung, wenn auch deutlich geringer: Ein leistungsbezogener Wettbewerb in der Zusammenarbeit kann die wahrgenommene Produktivität leicht erhöhen, erhöht aber zugleich die Werte der Überforderung. Es gibt also einen eigenständigen Effekt von Wettbewerbselementen in den Arbeitskulturen, auch wenn dieser gegenüber dem überragenden Haupteffekt von „Kooperation“ relativ klein ist.
Möchte man Arbeitskulturen derart gestalten, dass sie positive Effekte auf die Forschungsergebnisse haben, Innovationen befördern und die Risiken negativer Auswirkungen auf Forschungsoutput und Forschungsqualität möglichst minimieren, dann kann man sich an den hier erhobenen Merkmalen orientieren. Gegenseitige Unterstützung, eine positive Kommunikations- und Fehlerkultur, sowie eine bedarfsgerechte Verteilung von Ressourcen tragen zu einer kooperativen Arbeitskultur bei.
Der Berlin Science Survey
Der Berlin Science Survey (BSS) ist eine wissenschaftliche Trendstudie zum kulturellen Wandel in der Berliner Forschungslandschaft. Hierfür erfragt das Robert K. Merton Zentrum für Wissenschaftsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin in regelmäßigen Abständen online die Erfahrungen und Einschätzungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Berliner Forschungsraum. An der jüngsten Studie haben 2.776 Wissenschaftlerinnen des Berliner Forschungsraums teilgenommen. Wir möchten uns herzlich bei allen bedanken, die an der Studie teilgenommen haben.
Der umfangreiche Bericht mit allen Themen der Befragung findet sich hier:
https://www.berlinsciencesurvey.de/de/ergebnisse2024
Die Daten des BSS der Welle 2024 stehen als Scientific Use File auf dem Open-Access-Publikationsserver der HU zum Download bereit: https://doi.org/10.18452/32547