Erste Ergebnisse vom BSS zu Rahmenbedingungen in der Wissenschaft
Überall werden Wissenschaftler:innen bewertet. Vor allem das Hochschulmanagement und die Wissenschaftspolitik haben ein großes Interesse daran. Der Berlin Science Survey dreht den Spieß um und lässt die Wissenschaftler:innen zu Wort kommen. Es wird messbar, wo aus Sicht der Wissenschaftler:innen die größten Probleme und Verbesserungspotentiale in der Wissenschaft liegen.
Der BSS adressiert zum einen Themen, die öffentlich kontrovers diskutiert werden, wie die Frage nach der Wissenschaftsfreiheit, dem Ansehen der Wissenschaft in der Gesellschaft oder auch den Karrierestrukturen. Zum anderen wurden im Vorfeld Themen identifiziert, die Wissenschaftler:innen aus ihrer Sicht in qualitativen Interviews als besonders bedeutsam benannt hatten. Die Erhebung unterscheidet zudem zwischen strukturellen Bedingungen im Wissenschaftssystem in Deutschland insgesamt und solchen Bedingungen, die eher auf der lokalen bzw. organisationalen Ebene der einzelnen Einrichtungen liegen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die größten Probleme nicht etwa dort liegen, wo sie der öffentlichen Diskurslage nach zu vermuten wären. Vor allem die Wissenschaftsfreiheit wird von einer überragenden Mehrheit von 82,7 % als eher gut (46,2 %) oder sogar sehr gut (36,5 %) eingeschätzt. Etwas weniger positiv ist die Community bei der Frage, wie Wissenschaft in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Hier sehen 26,5 % die Situation eher schlecht und eine rund 70 %ige Mehrheit hält diese für eher gut (58,6 %) oder sogar sehr gut (12,2 %).
Probleme werden stattdessen seitens der Wissenschaft vor allem in Fragen der Wissenschaftsfinanzierung und mehr noch in den gegenwärtigen Karrierestrukturen verortet. Knapp drei Viertel der Befragten bewertet das aktuelle Finanzierungssystem, d.h. das Verhältnis von Drittmitteln und Grundmitteln für eher schlecht (45,8 %) oder sogar sehr schlecht (28,0 %). Die Karrierechancen im Wissenschaftssystem werden sogar noch etwas schlechter bewertet: 80 % bewerten diese als eher schlecht oder schlecht. Dabei werden die negativen Bewertungen nicht nur von den nichtprofessoralen Wissenschaftler:innen (Postdocs und Prädocs) getragen. Auch gut zwei Drittel der Professor:innen kommen zu der Einschätzung.
Die Karrierechancen und der teils prekäre Weg zur Professur werden schon lange diskutiert, und es stellt sich die Frage, wer den steinigen Weg zur gelobten Professur auf sich nimmt. Mittlerweile scheint sich das Bild etwas zu drehen: Wissenschaft wird nicht nur unattraktiv, weil die Perspektiven unsicher sind und der Weg steinig ist, sondern selbst das Berufsziel scheint vielen nicht mehr so attraktiv. 39,5 % der Befragten sagen, es steht um die Attraktivität der Professur eher schlecht, weitere 17,2 % sogar sehr schlecht. Damit bewertet nur eine Minderheit von insgesamt 43,4 % die Attraktivität der Professur als eher gut oder sehr gut. Selbst die Professor:innen bescheinigen Ihrer eigenen Position keine durchgehend guten Noten. Unter ihnen sind es 65,4 %, die die Attraktivität des Berufsbildes als gut einschätzen und auf der anderen Seite 34,6 %, die diese als schlecht ansehen.
Der BSS wird die Gründe für diese (teilweise) Unattraktivität der Professur detailliert untersuchen. Es zeichnet sich ab, dass dies wesentlich mit den Arbeitsbedingungen, teils fehlenden unterstützenden Rahmenbedingungen und daraus folgenden hohen Arbeitsbelastungen zu tun hat.
Auf der Organisationsebene werden die größten Schwierigkeiten in den unzureichenden Verwaltungsprozessen gesehen. 72,5 % der Wissenschaftler:innen bewerten diese als eher (34,4 %) oder sogar sehr (38,1 %) schlecht. Dieser „Aufschrei“ aus der Wissenschaftsgemeinschaft spiegelt sich auch in den offenen Angaben und Kommentaren, die die Wissenschaftler:innen hinterlassen haben. Hier war das Thema Belastungen durch Bürokratie eines der mit größtem Nachdruck adressierten Themen.
Die Bewertung der wissenschaftsunterstützenden Infrastrukturen sowie die Lehrkapazitäten fallen ambivalent aus. Hier ist es jeweils eine Hälfte, die diese für (eher oder sehr) gut befindet und eine andere Hälfte der Befragten, die diese Rahmenbedingungen als schlecht einschätzt. Die Lehrkapazitäten werden nicht primär durch die Einrichtungen, sondern durch die Hochschulverträge mit dem Land und den festgelegten Stellenkapazitäten bestimmt. Dennoch haben diese Bedingungen Auswirkungen auf andere Ressourcen und das kulturelle Klima an den Einrichtungen.
Die Rahmenbedingungen in der Wissenschaft sind die entscheidenden Stellen, an denen Politik und Management Einfluss nehmen können, um den oft besprochenen exzellenten und innovativen Output herbeizuführen. Wenn die Wissenschaft die „besten Köpfe“ bekommen möchte, wie oft kolportiert, dann müssen die Bedingungen, und das Ziel in der Wissenschaft zu verbleiben, attraktiv sein.
Die Einschätzungen zum Karrieresystem und der Attraktivität der Professur sind hierbei wichtige Indikatoren für Selbstselektionsprozesse. Die Einschätzungen zu den Rahmenbedingungen zeigen auf, wie effizient und effektiv die Forschungseinrichtungen die personellen Ressourcen ihrer Mitarbeiter:innen nutzen. Wo die Rahmenbedingungen nicht stimmen, kommt es zu unnötigen Belastungen und Frustration, was sich auch auf die von den Einrichtungen gewünschten Ziele – gute Forschung, gute Lehre, evtl. auch Third Mission – auswirkt. Hier zeigt der BSS wichtige Potentiale auf.
Der Berlin Science Survey
Der Berlin Science Survey (BSS) ist eine wissenschaftliche Trendstudie zum kulturellen Wandel in der Berliner Forschungslandschaft. Hierfür erfragt das Robert K. Merton Zentrum für Wissenschaftsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin in regelmäßigen Abständen online die Erfahrungen und Einschätzungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Berliner Forschungsraum. An der jüngsten Studie haben bis dato 2.366 Wissenschaftlerinnen des Berliner Forschungsraums teilgenommen. (Das Charité-Sample konnte in diese Auswertungen noch nicht integriert werden). Wir möchten uns herzlich bei allen bedanken, die an der Studie teilgenommen haben. Die verschiedenen und teils vielschichtigen Themen der aktuellen Befragung werden in den kommenden Monaten sukzessive ausgewertet und die Ergebnisse veröffentlicht.