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Hoch motiviert und engagiert - Analysen zu Motivation und Arbeitszeiten

Eine Analyse zu Motivation und Arbeitszeiten der Wissenschaftler:innen im Berliner Forschungsraum zeigt, dass diese höchst motiviert für ihre Arbeit sind, im Besonderen die Professor:innen. Die hohe Arbeitsmotivation hat ihre Kehrseite in einer Arbeitskultur mit sehr hohen Wochenarbeitsstunden und Mehrarbeit. Dieser Beitrag erscheint im Newsletter der BUA im Oktober 2024.


Die Erhebung der Arbeitsmotivation durch den BSS konzentrierte sich auf unterschiedliche Facetten intrinsischer Motivation. „Ich habe viel Freude an meiner wissenschaftlichen Arbeit“ ist ein zentrales Item für intrinsische Motivation, welches so und in ähnlicher Form in vielen Skalen vorkommt (Ryan and Deci 2000). „Für mich ist Wissenschaft Berufung, nicht nur ein Job“ bildet ebenfalls eine leidenschaftliche Verbundenheit mit der Tätigkeit ab, formuliert diese jedoch in Anlehnung an den berühmten Aufsatz von Max Weber "Wissenschaft als Beruf" (Weber 1919). Das dritte Item wiederum „Ich halte meine wissenschaftliche Tätigkeit für sinnvoll“ ist angelehnt an die neueren Diskussionen zur Sinnhaftigkeit von Managementtätigkeiten (Graeber 2016, 2020).

Abbildung 1 zeigt, dass über alle Statusgruppen hinweg eine absolute Mehrheit Freude bei der eigenen Arbeit empfindet. Fast ebenso viele halten ihre Arbeit auch für sinnvoll. Ebenfalls eine deutliche Mehrheit hält Wissenschaft nicht nur für einen Beruf, sondern  vielmehr für Berufung.

Abbildung 1 Arbeitsmotivation, nach Statusgruppen

Abbildung 1 Arbeitsmotivation, nach Statusgruppen

Diese positiven Einstellungen zur wissenschaftlichen Arbeit sind jedoch bei den Postdocs und vor allem bei den Prädocs deutlich geringer ausgeprägt als bei den Profs. Während bei den Professor:innen noch 92 % angeben Freude bei der Arbeit zu empfinden, sind es bei den Postdocs noch 87 % und bei den Prädocs nur noch 77 %. Bei den Professor:innen weisen auch die anderen beiden Facetten sehr hohe Werte auf. So geben 92 % an, die wissenschaftliche Tätigkeit sinnvoll zu finden und 89 % empfinden Wissenschaft als Berufung. Diese hohen Zustimmungswerte finden sich bei den Postdocs nicht ganz und bei den Prädocs noch etwas weniger. Unter den Prädocs geben nur noch 59 % an, Wissenschaft sei ihnen Berufung. Das ist nicht verwunderlich, da nicht alle das Karriere- und Berufsziel Wissenschaft verfolgen.

Die hohe Arbeitsmotivation findet ihren Widerhall in einem hohen Engagement bei der Arbeit. Die durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden in der Wissenschaft liegen weit über denen in anderen Berufen (IAB 2024), wobei die Professor:innen diese Arbeitskultur mit hohen Wochenarbeitsstunden vorleben. Sie arbeiten im Schnitt 51,2 Stunden pro Woche. Postdocs kommen durchschnittlich auf 42,9 Stunden pro Woche und bei den Prädocs sind es 40 Wochenarbeitsstunden.

Nun sind die Wochenarbeitsstunden allein nicht aussagekräftig, wenn man sie nicht ins Verhältnis setzt zu den vertraglichen Arbeitszeiten. Für die Professor:innenschaft im Beamtenverhältnis gibt es keine vertraglichen Arbeitszeiten. Für den Mittelbau haben wir die Vertragsarbeitszeiten erhoben und können sie zur Analyse heranziehen. Zu beachten ist, dass Prädocs zu 56 % und damit deutlich häufiger in Teilzeit eingestellt sind als Postdocs, bei denen die Teilzeitquote bei 26 % liegt. Dies macht sich statistisch in durchschnittlich niedrigeren Vertragsarbeitszeiten bemerkbar.

Die vertragliche Arbeitszeit umfasst im Durchschnitt für Postdocs 36,7 Stunden und für Prädocs 32 Stunden (Abbildung 2). Schaut man sich an, wieviel wöchentliche Mehrarbeit dazu kommt, ist dies enorm, zumal Mehrarbeit in der Wissenschaft meistens unbezahlte ist. So arbeiten Postdocs durchschnittlich 42,9 Stunden pro Woche und somit durchschnittlich gut 6 Stunden mehr als bezahlt. Bei den Prädocs sind es, mit 40 Stunden realer Arbeitszeit pro Woche, also knapp 8 Stunden Mehrarbeit pro Woche. Auch für die Professor:innen ist die reale Arbeitsbelastung mit durchschnittlich 51,2 Stunden pro Woche sehr hoch. Legt man eine 40-Stunden-Woche zu Grunde, leisten die Professor:innen wöchentlich 11,2 Stunden Mehrarbeit (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2 Arbeitszeit und Mehrarbeit, nach Statusgruppen

Abbildung 2 Arbeitszeit und Mehrarbeit, nach Statusgruppen

Abbildung 3 zeigt, dass sich die tatsächliche Wochenarbeitszeit, die vertraglichen Arbeitsstunden und die wöchentliche Mehrarbeit in den Fächergruppen teilweise unterscheiden. Bei den Professor:innen in den Geistes- und Lebenswissenschaften sind die Wochenstunden besonders hoch. Hier wird 53,4 bzw. 53,6 Stunden pro Woche gearbeitet. Danach folgen die Professor:innen aus den Ingenieurswissenschaften, die durchschnittlich 51,7 Stunden arbeiten.

Innerhalb der Gruppe der Postdocs fallen mit 10,2 Stunden in den Geisteswissenschaften die meisten Mehrarbeitsstunden an. In der Gruppe der Prädocs sind es die Naturwissenschaften, die mit 12,9 wöchentlichen Mehrarbeitsstunden auffallen. Bei den Prädocs sind es die Ingenieur:innen die deutlich geringere Mehrarbeitsstunden aufweisen als die Kolleg:innen der anderen Fächer. Das liegt zumindest zum Teil daran, dass hier Verträge mit höheren Stundenumfängen, bzw. auch häufiger Vollzeitverträge vergeben werden, als in den anderen Fächern. Das führt dazu, dass nicht mehr ganz so viel Mehrarbeit hinzukommen muss, um den Anforderungen der jeweiligen Arbeitskultur zu genügen.

Abbildung 3 Arbeitszeit und Mehrarbeit nach Fächergruppen und Statusgruppen

Abbildung 3 Mehrarbeit nach Fächergruppen und Statusgruppen

Für die Prädocs ist (unfreiwillige) Teilzeit somit ein gewisses Problem, da Teilzeitverträge sie bei gegebener Arbeitskultur in höhere Mehrarbeitsstunden hineinzwingen. Das Gegenteil wäre freiwillige Teilzeit, die dann vorliegt, wenn eine Person, obwohl sie einen Vollzeitvertrag haben könnte, sich selbst für Teilzeit entscheidet, zum Beispiel weil sie anderen Aufgaben neben der Erwerbsarbeit nachkommen möchte oder auch einfach, weil sie mehr Freizeit haben möchte. Bei freiwilliger Teilzeit sollte eigentlich gar keine (unbezahlte) oder deutlich weniger Mehrarbeit anfallen, denn andernfalls konterkariert es die Idee der Teilzeit. Für die allgemeinen Arbeitsmärkte trifft das auch zu (vgl. IAB 2024), nur für die Wissenschaft offensichtlich nicht.

 

Wofür wird die Arbeitszeit aufgewendet?

Schaut man sich die Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiedenen Aufgabenbereiche an, so fallen die unterschiedlichen Profile der Professor:innen, Postdocs und Prädocs auf (siehe Abbildung 4). Da Professor:innen deutlich mehr Betreuungsaufgaben, Gremienarbeit und Begutachtungen haben, fällt bei ihnen die Forschungszeit mit unter 25 % am geringsten aus. Am meisten Forschungszeit haben die Prädocs in den Naturwissenschaften mit durchschnittlich 62,2 %, gefolgt von denen in den Lebenswissenschaften mit 51,7 % ihrer Arbeitszeit. Gleichzeitig übernehmen auch Postdocs und bereits Prädocs Anteile aller anderen Aufgaben. Dabei fällt auf, dass sich die Arbeitsaufwände für die Lehre gar nicht so stak zwischen den Statusgruppen unterscheiden und das, obwohl die Professor:innen zumeist deutlich höhere Lehrdeputate haben als der Mittelbau. Dies ist sicherlich zum Teil mit der, durch Berufserfahrung zunehmenden Effizienz erklärbar. Gleichzeitig ist es ein deutlicher Hinweis darauf, wie die zunehmenden Lehr- und Betreuungsaufgaben an den Hochschulen faktisch verteilt werden. Auch die Managementaufgaben, die je nach Fach und Statusgruppe zwischen 11 % und 20 % der Arbeitszeit einnehmen, fallen bei allen Statusgruppen in ähnlicher Größenordnung an (siehe Abbildung 4). Anders als bei Forschungszeit, Lehr- und Betreuungszeit, wo eine Zunahme sehr wohl gewünscht sein kann, wäre eine Zunahme der Zeit für Managementaufgaben ein gefährliches Zeichen, welches auf zu viel Bürokratisierung und damit auf Ineffizienz und Innovationshemmnisse in den Organisationen hindeuten kann.

Abbildung 4 Arbeitszeitverteilung nach Fächergruppen und Statusgruppen

Abbildung 4 Arbeitszeitverteilung nach Fächergruppen und Statusgruppen

Letztlich stellen sich viele Fragen, die hier nicht beantwortet sind, die aber auf weitere Auswertungen und den kommenden umfangreichen Bericht verweisen: Ist es nun eigentlich gut oder schlecht, dass in der Wissenschaft so viel (mehr) gearbeitet wird. Ist es nur Ausdruck der Freude an der Arbeit oder entsteht die Mehrarbeit und entgrenzte Arbeitszeit auch aus Zwängen der umgebenden Rahmenbedingungen, die man sich eigentlich anders wünschen würde. Kaschiert und kompensiert das Arbeitsethos in der Wissenschaft möglicherweise auch Probleme, die eigentlich angesprochen und behoben gehören? Wir werden einigen dieser Fragen mit weiteren empirischen Analysen nachgehen.

Der Berlin Science Survey

Der Berlin Science Survey (BSS) ist eine wissenschaftliche Trendstudie zum kulturellen Wandel in der Berliner Forschungslandschaft. Hierfür erfragt das Robert K. Merton Zentrum für Wissenschaftsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin in regelmäßigen Abständen online die Erfahrungen und Einschätzungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Berliner Forschungsraum. An der jüngsten Studie mit dem Schwerpunktthema „Rahmenbedingungen für gute Wissenschaft“ haben Anfang 2024 2.776 Wissenschaftlerinnen des Berliner Forschungsraums teilgenommen. Wir möchten uns herzlich bei allen bedanken, die an der Studie teilgenommen haben. Die verschiedenen und teils vielschichtigen Themen der aktuellen Befragung wurden in den letzten Monaten ausgewertet. In den kommenden Tagen erscheint der erste umfangreiche Bericht mit allen Inhalten der 2024er Befragungswelle.

 

Referenzen

Graeber, David. (2016) Bürokratie. Die Utopie der Regeln.

Graeber, David. (2016) Bullshitjobs. Vom wahren Sinn der Arbeit.

Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) (2024). Verbreitung von Überstunden in Deutschland. Aktuelle Berichte, September 2024.
https://doku.iab.de/aktuell/2014/aktueller_bericht_1407.pdf

Ryan R.M. & E.L. Deci, Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well being, American Psychologist, 55 (2000), pp. 68–78.

Weber, Max (1919) „Wissenschaft als Beruf“, in Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J. C. B. Mohr, 1922, S. 524–55.
https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/50765