Zusammenfassung der Ergebnisse
Wissenstransfer umfasst nicht nur Wissenschaftskommunikation, sondern alle Formen des Wissensaustauschs zwischen der Wissenschaft und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Ein solcher Austausch kann in unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses stattfinden. Somit muss Wissenstransfer auch nicht als einseitiger Prozess von der Wissenschaft in die Gesellschaft verstanden werden, sondern kann in beide Richtungen stattfinden, so dass sich beide Seiten gegenseitig anregen und bereichern.
Zur Quantifizierung des Wissenstransferpotenzials setzt der Berlin Science Survey bei den Perspektiven der Forschenden an und hat gefragt, für welche gesellschaftlichen Bereiche sie ihre eigene Forschung als relevant betrachten. Dabei zeigt sich, dass 88 % der Befragten ihre Forschung für mindestens einen gesellschaftlichen Bereich (Politik, Bürger:innen, Wirtschaft, Praktiker:innen, Kunst/Kultur, Medien, Wirtschaft) für „ziemlich“ oder „sehr relevant“ halten. Die anderen 12 % erachten ihre Forschung als „kaum relevant“ oder „überhaupt nicht relevant“ für irgendeinen der sieben abgefragten Bereiche. Hier handelt es sich überwiegend um Befragte, die Grundlagenforschung betreiben.
Jedoch zeigen sich für verschiedene Disziplinen höchst unterschiedliche Profile und damit auch unterschiedliche Transferpotenziale. So ist das Transferprofil der Geistes- und Sozialwissenschaften stärker auf die Zivilgesellschaft und die Politik, das der Lebenswissenschaften stärker auf Praktiker:innen (z.B. in der medizinischen Klinik) und das der Ingenieure am stärksten auf Unternehmen aus der Wirtschaft ausgerichtet.
Die Transferpotenziale werden bisher bereits in einem großen Umfang ausgeschöpft. Von allen Befragten, stehen 73 % mit mindestens einer gesellschaftlichen Gruppe im Austausch; 54 % sogar mit zwei oder mehr Gruppen. Lediglich 27 % stehen gar nicht im Austausch mit einer der genannten Gruppen.
Ein tatsächlicher Austausch findet am häufigsten statt, wenn Praktiker:innen (bsp. ärztliches Fachpersonal, Techniker:innen und Lehrende) die relevante Bezugsgruppe darstellen: Von den Befragten, die die eigene Forschung für die Gruppe der Praktiker:innen als relevant ansehen, geben 78 % an, dass auch ein Wissenstransfer mit dieser Gruppe stattfindet. Bei der Relevanzgruppe Kunst und Kultur liegt dieser Anteil bei 64 %, bei Wirtschaft sind es 66 % und bei der Zivilgesellschaft 68 %.
Die Intensität von Austauschbeziehungen kann man danach einordnen, zu welchen Zeitpunkten im Forschungsprozess der Austausch stattfindet. Austausch während des Forschungsprozesses – und nicht ausschließlich im Anschluss – ist ein Indikator dafür, dass es sich um einen intensiveren Austausch handeln könnte. Von den Wissenstransfer praktizierenden Wissenschaftler:innen geben 91 % an, dass sie bereits vor oder während des Forschungsprozesses mit relevanten Gruppen im Austausch stehen. Die restlichen 9 % gehen ausschließlich nach Beendigung der Forschung in den außerwissenschaftlichen Austausch.
Häufig findet der Austausch bereits bei der Entwicklung der Fragestellung statt. Dies ist beim Austausch mit Partner:innen aus der Wirtschaft (61 %) und mit Praktiker:innen (51 %) besonders
häufig der Fall. Aber auch der Wissensaustausch mit Politik, zivilgesellschaftlichen Institutionen oder Kunst & Kultur findet in rund einem Drittel der Fälle bereits in dieser frühen Phase statt.
Insgesamt betrachtet, stehen sehr viele Wissenschaftler:innen im Berliner Forschungsraum im Austausch mit gesellschaftlichen Akteur:innen außerhalb der Wissenschaft. Von einer Forschung im Elfenbeinturm kann hier nicht die Rede sein.
Berliner Forschungsraum & Unterstützungsbedarf
Den Wissenstransfer im Berliner Forschungsraum bewertet die Mehrheit positiv. So beurteilen 45 % den Berliner Forschungsraum in puncto Wissenstransfer als „eher gut“ und 9 % als „sehr gut“ aufgestellt. Andererseits sieht eine nicht zu unterschätzende Minderheit von 27,3 % der Befragten den Berliner Forschungsraums hier als „eher schlecht“ oder gar „sehr schlecht“ aufgestellt.
Jüngere Wissenschaftler:innen reklamieren deutlich häufiger Unterstützungsbedarf im Umgang mit Wissenstransfer als etabliertere Forscher:innen. Unterteilt nach Statusgruppen geben 37 % der Professor:innen, 45 % der Postdocs und 50 % der Prädocs einen Unterstützungsbedarf an. Der Unterstützungsbedarf nimmt erwartungsgemäß mit zunehmender Erfahrung ab.
Insgesamt ist der angegebene Unterstützungsbedarf vor dem Hintergrund der bereits vorhandenen umfangreichen Transferpraxis auf einem erstaunlich hohen Level. Dies deutet darauf hin, dass die Wissenschaftler:innen dem Thema Wissenstransfer einerseits eine große Bedeutung beimessen, es gleichzeitig aber auch nicht alleine stemmen können oder wollen. Tatsächlich zeigt sich, dass der Unterstützungsbedarf gerade bei denjenigen etwas ausgeprägter ist, die dem Wissenstransfer in die Gesellschaft einen höheren Stellenwert zuordnen. Hier ist es wichtig, dass auch die Einrichtungen Verantwortung für das Thema übernehmen, damit nicht die gesamte Last bezüglich der Umsetzung von Wissenstransfer auf den Schultern der Individuen liegt.
Einstellungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft
Die absolute Mehrheit der Befragten (83 %) ist der Meinung, dass sich Wissenschaftler:innen aktiv in öffentliche Debatten einbringen sollten. Allerdings sollten sie sich dabei auf Aussagen zu ihrer eigenen Forschung beschränken, meinen 63 % der Befragten. Knapp 28 % meinen dagegen, Wissenschaftler:innen sollten sich auch darüber hinaus in öffentliche Debatten einbringen. Dies zeigt, dass Wissenschaftler:innen das Einbringen wissenschaftlicher Expertise in gesellschaftliche Diskurse für geboten halten, jedoch weniger im Sinn von public intellectuals, die sich zu vielem äußern, sondern immer mit klarem Bezug auf das selbst produzierte Wissen.
Der Stellenwert der Autonomie der Wissenschaft ist in der wissenschaftlichen Community umstritten: Während sich 45 % (eher) für Autonomie gegenüber der Gesellschaft aussprechen, neigen mit 39 % kaum weniger Befragte zu der Aussage, Wissenschaft sollte sich in den Dienst der Gesellschaft stellen. Die übrigen Befragten nehmen hier eine neutrale Position ein.
Diese „Positionierungen“ hängen in hohem Maße vom jeweiligen eigenen Forschungsgegenstand ab. So machen sich im Besonderen solche Wissenschaftler:innen für die Autonomie der Wissenschaft stark, die selbst eher theoretisch arbeiten, aber auch solche, die auf technische Infrastrukturen angewiesen sind. Geisteswissenschaftler:innen befürworten eine stärkere Autonomie, während Ingenieurswissenschaftler:innen weniger abgeneigt sind, die Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Zudem machen sich Professor:innen eher für das Bewahren eines hohen Maßes an Autonomie stark, verglichen mit Postdocs und Prädocs.
Aus diesen Ergebnissen lassen sich die folgenden hochschulpolitischen Implikationen ableiten:
Wissenstransfer gehört bereits ganz überwiegend zum Forschungsalltag. Ausgehend vom Status Quo ist eine Steigerung der Wissenstransfer-Aktivitäten durch die einzelnen Wissenschaftler:innen nicht unbedingt erwartbar und auch nicht überall sinnvoll und zielführend. So hängt das Wissenstransferpotenzial und die jeweilige Zielgruppe für den Transfer stark vom jeweiligen Fach und dem konkretem Forschungskontext ab. Insbesondere für Wissenschaftler:innen in der Grundlagenforschung ist das Thema Wissenstransfer eher nachrangig.
Insgesamt gibt es unter den Wissenschaftler:innen beachtliche Unterstützungsbedarfe, um dem Wunsch nach Wissenstransfer nachzukommen. Unterstützungsangebote der Einrichtungen könnten dazu beitragen die Wissenstransferpotenziale besser zu nutzen.