Forschungsorientierungen
Wissenschaftler:innen stehen unter vielfachen Erwartungen und Anforderungen, die sie in ihrer wissenschaftlichen Praxis zu integrieren versuchen. Zur Einschätzung der Forschungskultur ist es einerseits wichtig zu wissen, inwiefern die Wissenschaftler:innen die vom Hochschulmanagement deklarierten Ziele in der Wissenschaft überhaupt teilen oder ob sie sie eher als von außen an sie herangetragen wahrnehmen. Darüber hinaus interessiert, in welchem Maß sie bezüglich dieser Ziele einen Erwartungsdruck empfinden. Dieser kann von außen kommen, aber auch selbst auferlegt sein. Drittens lassen sich diese Einschätzungen damit abgleichen, welche Priorität die Wissenschaftler:innen diesen Zielen in ihrer alltäglichen Arbeit letztlich einräumen, wenn zeitliche und andere Ressourcen praktisch abgewogen werden müssen.
Wissenschaftler:innen stehen unter vielfachen Erwartungen und Anforderungen, die sie in ihrer wissenschaftlichen Praxis zu integrieren versuchen. Zur Einschätzung der Forschungskultur ist es einerseits wichtig zu wissen, inwiefern die Wissenschaftler:innen die vom Hochschulmanagement deklarierten Ziele in der Wissenschaft überhaupt teilen oder ob sie sie eher als von außen an sie herangetragen wahrnehmen. Darüber hinaus interessiert, in welchem Maß sie bezüglich dieser Ziele einen Erwartungsdruck empfinden. Dieser kann von außen kommen, aber auch selbst auferlegt sein. Drittens lassen sich diese Einschätzungen damit abgleichen, welche Priorität die Wissenschaftler:innen diesen Zielen in ihrer alltäglichen Arbeit letztlich einräumen, wenn zeitliche und andere Ressourcen praktisch abgewogen werden müssen.
Die Ergebnisse (Abbildung 55) zeigen, dass die forschungsimmanenten Werte von den allermeisten als übergeordnete oder sogar höchste Ziele betrachtet werden. Interessant ist, dass „gute Lehre“ als ähnlich wichtiges und hohes Ziel gesehen wird. Aber auch die wissenschaftspolitischen und teils von außen herangetragenen Ziele finden ebenfalls recht breite Zustimmung. Das zeigt, dass die Ziele „Open Science“ und „Wissenstransfer“ als wissenschaftliche Ziele von der Community akzeptiert werden.
Lediglich der „Publikationsoutput“ und „Drittmitteleinwerbungen“ sollten nach dem Urteil der allermeisten Wissenschaftler:innen keine übergeordneten - geschweige denn höchsten - Ziele, sondern deutlich untergeordnete Ziele sein. Diese Urteile stehen im klaren Widerspruch zu den dominierenden und einseitig an Output orientierten Anreizsystemen im Wissenschaftssystem. Der Widerstand gegen diese Art von Anreizsystemen wird schließlich nach wie vor intensiv debattiert, wie bspw. Forderungen der EU-Kommission (2021) oder die Aktivitäten des CoARA Netzwerks (2022) zeigen, die sich für eine Überarbeitung des Leistungsbewertungssystems in der Wissenschaft einsetzen. Die Widersprüchlichkeit zwischen Relevanzzuschreibungen seitens der Wissenschaftler:innen und externen Erwartungen mit Blick auf den Publikationsoutput und Drittmitteleinwerbungen, zeigt sich zudem beim Erwartungsdruck. Denn vor allem beim Publikationsoutput und etwas weniger bei der Drittmitteleinwerbung nehmen die Wissenschaftler:innen einen „hohen“ bis „sehr hohen“ Erwartungsdruck wahr; deutlich mehr als bei den forschungsimmanenten Zielen „Originalität“ und „methodische Strenge“, bei denen sie sich dennoch unter einem hohen Erwartungsdruck sehen bzw. sich selbst darunter stellen.
Bei allen anderen Zielen wird der Erwartungsdruck von einer deutlichen Mehrheit als “niedrig“ oder „gar nicht vorhanden“ eingeschätzt. Am seltensten wird Erwartungsdruck hinsichtlich „guter Lehre“ und „Open Science“ verspürt und auch beim Wissenstransfer ist er gering. Das ist einerseits bemerkenswert, da diese Dimensionen bei der normativen Einschätzung der Ziele einen relativ hohen Stellenwert einnehmen, andererseits aber auch nicht verwunderlich, da diese Aspekte wissenschaftlicher Arbeit keine so große Rolle in den Bewertungssystemen spielen.
Wie aber priorisieren die Wissenschaftler:innen in diesem Spannungsfeld multipler Anforderungen und Ziele ihre alltägliche Arbeit? Abbildung 55 zeigt, dass einerseits solche Ziele priorisiert werden, die von den Befragten selbst als wichtige Ziele für die Wissenschaft angesehen werden: die forschungsimmanenten Werte „methodische Strenge“ und „Originalität“. Andererseits werden auch Ziele stark priorisiert, auf denen ein hoher bis sehr hoher Erwartungsdruck liegt, wenngleich die Ziele von den Wissenschaftler:innen selbst nicht als höchste Ziele angesehen werden: Das betrifft vor allem den „Publikationsoutput“. Insofern muss nicht per se davon ausgegangen werden, dass von außen kommende Erwartungen und Zielsetzungen die Forschungsqualität negativ beeinflussen. Zwar ist der von außen kommende Erwartungsdruck wie beim „Publikationsoutput“ offensichtlich sehr hoch und verschiebt die Prioritätensetzung in der Praxis deutlich, andererseits wägen die Wissenschaftler:innen dies gegenüber eigenen normativen Zielsetzungen ab. Die Priorisierung geht somit nicht oder nur zum Teil auf Kosten der Forschungsqualität, denn die Wissenschaftler:innen halten die ihnen selbst wichtigsten Ziele und vor allem Forschungsqualität weiter aufrecht, auch wenn der äußere Erwartungsdruck eher auf andere Ziele gerichtet ist.
Nichtsdestotrotz ist die Priorisierung verschiedener Ziele und Anforderungen ein Spannungsfeld. Dies geht aktuell eher zu Lasten sekundärer Ziele, die weder mit allzu hoher eigener Wichtigkeit, noch mit allzu großem (externem) Erwartungsdruck verbunden werden. „Gute Lehre“ rangiert bei der Prioritätensetzung im Mittelfeld. Da dieses Ziel eher mit einem niedrigen Erwartungsdruck verbunden ist, wird die Priorisierung bei vielen durch eine intrinsische Motivation für die Zielerreichung hochgehalten. Die wissenschaftspolitischen Ziele „Wissenstransfer“ und „Open Science“ stehen bei den Wissenschaftler:innen an letzter Stelle der Priorisierung. Hier genügen weder die Wichtigkeit des Ziels noch ein Erwartungsdruck, um diese Aufgaben auf vordere Plätze zu bringen.
Anderseits darf diese Analyse auch nicht als Anleitung zur Steuerung missverstanden werden. Möchte man eine Aufgabe pushen, z.B. in dem der von außen kommende Erwartungsdruck deutlich erhöht wird, kann dies immer auf Kosten der von den Wissenschaftler:innen empfundenen Wichtigkeit gehen, wie die Beispiele Publikationsoutput und Drittmitteleinwerbung zeigen. Externe (extrinsische) Anreize können intrinsische Motivation und Wertsetzung verdrängen. Gleichzeitig ist die gesamte Messung relational. Es können gar nicht alle Aufgaben gleich wichtig sein oder alle „die höchste“ Priorität haben. Das bedeutet, wenn eine Aufgabe durch Erwartungsdruck oder Bedeutungsverschiebungen an Priorität gewinnt, geht das immer auf Kosten von anderen Aufgaben, wie man am Verhältnis Lehre und Forschung, bzw. Publikationen und Drittmitteleinwerbungen sieht. Die Wissenschaftler:innen werden ihre eigenen Wege im Labyrinth der Anforderungen gehen, um diese mit ihren beschränkten Kapazitäten und zeitlichen Ressourcen in Einklang zu bringen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wissenschaftler:innen hoch motiviert sind, Forschungsergebnisse von Qualität zu liefern und dies auch in der Praxis umsetzen, obwohl der Erwartungsdruck stärker auf anderen Zielen liegt. Das grundsätzliche Muster dieser Ergebnisse hat sich in den letzten zwei Jahren zwischen 2022 und 2024 nicht wesentlich geändert. (Die Werte aus 2022 sind in geringerer Sättigung mit denselben Farbsymbolen hinterlegt.) Kleinere Verschiebungen wie bei Wissenstransfer können auf eine Reformulierung des Items zurückgeführt werden. Das Item „Drittmitteleinwerbungen“ wurde 2022 noch nicht miterhoben.